von: AKKU
Im Juni jährt sich der rechtsterroristische Anschlag in der Kölner Keupstraße zum zehnten Mal. Nach dem Bekanntwerden des NSU-Terros wurde viel über das Thema Rechtsterrorismus in Untersuchungsausschüssen, Debatten in Talkshows und in Parlamenten diskutiert. Das Fazit der bereits wieder abgeflachten öffentlichen Diskussion kann nur ernüchternd ausfallen:
Sowohl auf bundesweiter als auch auf lokaler Ebene wurden keine Konsequenzen gezogen, die auch nur im Ansatz an den Wurzeln des Problems ansetzen: Die rassistischen Ermittlungspraktiken der Polizei, die die Täter_innen im angeblich „kriminellen Milieu“ der Opfer suchten und rassistische Tatmotive unbegründet ausschlossen, stehen weiterhin im Raum. Die Verstrickungen der Geheimdienste mit dem NSU und seinem Unterstützer_innen-Netzwerk sind bislang unaufgeklärt. Die Strukturen in den traditionell rechtsgerichteten Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden wurden nicht ansatzweise angetastet und zur Debatte gestellt, die Forderung der Auflösung des Verfassungsschutzes verhallte.
Rassistische Debatten und rechte Bürgermobs
Stattdessen mehren sich wieder rassistische Debatten um einen angeblichen „Asylmissbrauch“ und „Armutseinwanderung“, die von großen Teilen der Politik maßgeblich mitinitiiert und -getragen werden. In mehreren deutschen Städten kommt es im Zuge der neu entfachten Asyldebatte zu Zusammenschlüssen zwischen extremen Rechten und Anwohner_innen. Gemeinsam hetzen sie gegen die Unterbringung von Geflüchteten und es kommt vermehrt zu Anschlägen auf Unterkünfte, die keine gesellschaftliche und tagespolitische Reaktion nach sich ziehen. Parallelen zur Asyldebatte und dem rassistischen Diskurs Anfang der 90er Jahre, die in tödlichen Anschlägen gegen Menschen mit Migrationshintergrund gipfelten, werden deutlich.
Erinnern heißt Handeln!
Am 9. Juni 2014 will die politische und kulturelle Prominenz in Köln, nahe des Anschlagsortes in Köln-Mülheim, ein Gedenkkonzert veranstalten.
Eine willkommene Plattform für Politiker_innen, um Betroffenheit und Entrüstung zu demonstrieren – während sie in den letzten Jahren selbst an Gesetzen und Debatten mitwirkten, die eine rassistische Grundstimmung in Deutschland und Europa befördern. Sie haben sich bisher nicht annähernd damit hervorgetan, Licht ins Dunkel der Akte NSU zu bringen und eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen einzufordern. Von den längst überfälligen Reformen in Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten ist längst keine Rede mehr.
Eine Veranstaltung, bei der sich Verantwortliche hinter einem Vorhang der Schweigeminute und Betroffenheitsheucheleien verstecken können, reicht uns nicht.
Wenn Erinnern Handeln heißt, muss die Gesellschaft die (Mit-)Täter_innen auf persönlicher wie institutioneller Ebene zur Verantwortung ziehen und den alltäglichen Rassismus in der Fokus rücken.
Unsere Konsequenz daraus ist, im Rahmen des Jahrestages eine eigene Aktionsform des Gedenkens zu entwickeln und zu gestalten.
Deshalb wollen wir am 6. Juni 2014 einen „(Mit-)Täterspurengang“ veranstalten. An diesem Tag werden wir stellvertretend Orte und Mittäter_innen aufsuchen, die bei der Mordserie des NSU sowie deren Nicht-Aufklärung eine Rolle spielten und immer noch spielen. Wir wollen diejenigen benennen, die mit ihren rassistischen Debatten den Nährboden für die Ermittlungsverfahren gegen Bewohner_innen der Keupstraße bereiteten. Gleichzeitig möchten wir an den zweiten Anschlagsort des NSU in Köln erinnern: Die Probsteigasse, in der ein Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft detonierte und die Tochter des Ladenbesitzers schwer verletzte.
Kommt am 6. Juni nach Köln! 17:30 Uhr, Bahnhof Deutz, Ottoplatz
Auf unserem Weg werden wir an folgenden Stationen Halt machen:
Station Finanzamt (Siegesstr.)
Am Finanzamt Köln Ost beginnt unser (Mit-)Täterspurengang. Ein Ort, den man nicht unbedingt direkt mit dem Anschlag in der Keupstr. in Verbindung bringt. Nachdem die Kölner Polizei und das Bundesministerium für Inneres einen rechtsterroristischen Hintergrund Stunden nach dem Anschlag ausschloss, konzentrierten die Kölner Ermittler_innen ihre Ermittlungsarbeit auf das „kriminelle Mileu“ der Keupstr. Dabei nahmen Sie verschiedene Menschen aus der Keupstr. in den Fokus, die sie mit verschiedensten Mitteln unter Druck setzten, um an die Täter_innen zu kommen, die sie zu gerne in den Reihen der Bewohner_innen der Keupstr. gesehen hätten. Zu diesen Mitteln gehörte es auch, Geschäfte der Inhaber_innen der Läden auf der Keupstr. zu „überprüfen“ und zwar unter Mithilfe des Finanzamts Köln-Ost, die bereitwillig „Amtshilfe“ leisteten.
Station Rathaus
Auf unserem Täterspurengang steht das Kölner Rathaus stellvertretend für die Politik auf kommunaler, landes- und bundesweiter Ebene. Ähnlich wie die Ermittlungsbehörden schloss auch die Politik nach den Anschlägen rassistische Tatmotive voreilig aus. So erklärte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und der nordrhein-westfälische Landesinnenministers Fritz Behrens (SPD) bereits einen Tag nach dem Anschlag in der Keupstraße auf einer Pressekonferenz, alles deute mehr auf ein „kriminelles Milieu“ als auf einen terroristischen Hintergrund hin. Durch solche Aussagen wurden die rassistischen Ermittlungen in Richtung „Auländerkriminalität“ und die Verdächtigung von Opferangehörigen nicht nur nicht von der Politik verurteilt, sondern sogar legitimiert und bestärkt. Auch die Aufklärungsarbeit vonseiten der Politik nach dem Auffliegen des NSU ist enttäuschend. Der NSU-Untersuchungsausschuss erklärte seine Arbeit nach seinem Abschlussbricht für beendet, obwohl zentrale Fragen, beispielsweise wer der NSU und sein Netzwerk wirklich war oder warum Akten nach dem Auffliegen des NSU geschreddert wurden, weiterhin völlig ungeklärt sind.
Station Medien (Tunisstr.)
Nürnberger Zeitung, DPA, Bild, Mainzer Zeitung, FAZ. Sie gelten allesamt als Erstverbreiter des Begriffs „Döner-Morde“. Dieser Begriff, der es anschließend bei fast allen Zeitungen und Medien in die Berichterstattung schaffte, steht stellverterend für eine aktive Rolle der deutschen Medien in rassistischer Hinsicht. Auch sie sind Verantwortliche, wenn es darum geht, den Nährboden für Rassismus in unserer Gesellschaft (Asylflut, Hofierung von Sarrazin, etc.) zu bereiten. Sie waren daran beteiligt, die Taten des NSU zu verharmlosen oder von rechtsterroristischen Hintergründen abzulenken. Eine selbstkritische Auseinandersetzung steht bis heute aus.
Station Polizei (Tunisstr.)
Trotz zahlreicher eindeutiger Hinweise zu den Sprengstoffanschlägen und der Mordserie des NSU war es den deutschen Ermittler_innen nicht gelungen Fälle aufzuklären oder Taten zu verhindern. Der damalige Bayerische Innenminister Dr. Günther Beckstein (CSU) kam zu dem Ergebnis, dass die Ermittler_innen „keine substanziellen Fehler“ gemacht hätten. Jedoch kam es immer wieder dazu, dass Spuren nicht nachgegangen wurde und frühzeitig nach Taten und Anschlägen entschieden wurde, dass keine terroristschen Hintergründe und Verbindungen zu vorherigen Ereignissen vorliegen. Den deutschen Ermittlungsbehörden ein bewusstes Versagen vorzuwerfen liegt da nicht fern. Sie reihen sich ohne weiteres ein in die rechten Strukturen des Verfassungsschutzes. Hinzu kommt eine rasssistische und diskriminierende Ermittlungspraxis in der Kölner Keupstr., die Existenzen zerstörte.
Station Probsteigasse
Am 21. Dezember 2000 betrat einer der Täter des NSU ein kleines Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse. Er führte einen Weihnachtsgeschenkkorb mit sich und ließ diesen im Laden zurück, um angeblich Geld für den Einkauf im Laden zu holen. In dem Geschenkkorb befand sich eine Christstollendose, die einen Sprengsatz enthielt. Der Ladenbesitzer mit iranischem Migrationshintergrund stellte den Korb zur Aufbewahrung in das Hinterzimmer des Ladens. Hier detonierte der Sprengsatz am 19. Januar 2001, als die damals 19 jährige Tochter des Ladenbesitzers die Dose öffnete. Sie erlitt schwerste Verbrennungen am Oberkörper und im Gesicht.
Ein rassistischer Hintergrund wurde von Kölner Polizei schnell und grundlos ausgeschlossen und die Ermittlungen konzentrierten sich auf einen herbeifantasierten Racheakt aus dem Rotlichtmilieu und Streitigkeiten mit einem Bauunternehmer mit türkischem Migrationshintergrund.
Auch bei dem Anschlag spielte der Verfassungsschutz eine entscheidende Rolle: Noch am Tattag nahm die Kölner Polizei mit dem Verfassungsschutz Kontakt auf. Hier ging es allerdings nicht um eine mögliche Abgleichung mit anderen rassistischen Anschlägen, sondern es wurden Informationen über die Opfer eingeholt.
Weitere Infos gibt es in den kommenden Tagen!
Weiterführende Links:
Initiative Keupstr.
Demonstration und Bündnis Verfassungsschutz auflösen (10.11.12)
NSU Watch