Dieser Redebeitrag wurde auf der „DEMO GEGEN RECHTE GEWALT! – anlässlich der Anschläge in Halle und Zülpich“ am 11. Oktober in Bonn gehalten:
Wir alle sind geschockt und empört über den antisemtischen Terroranschlag in Halle. Diese Empörung müssen wir auf die Straße tragen, damit aus einem Anschlag keine Welle wird. Dieser Anschlag steht im Kontext eines gesellschaftlichen Rechtsrucks, der Antisemitismus und andere menschenfeindliche Positionen zunehmend in die Mitte der Gesellschaft spült. Es ist aber nicht nur nötig, den Anschlag in seiner gesellschaftlichen Bedeutung zu verstehen, sondern sich auch mit den Strukturen zu beschäftigen, auf die der Täter Bezug nimmt und in deren Kontext er seine Tat stellt.
Auch wenn vieles über den Terroranschlag von Halle noch Unklar ist, lässt sich eines klar sagen: Der Anschlag wurde auf eine sehr eindeutige Weise inszeniert. Dies deutet darauf hin, dass der Hintergrund des Mörders nicht in den in der BRD etablierten und seit Jahrzehnten bestehenden rechtsterrorististischen Strukturen liegt. Die Inszenierung des Anschlags verweist auf eine relativ neue, über das Internet organisierte rechtsradikale Subkultur, die in der letzten Zeit immer wieder Massenmörder produzierte, die sich gegenseitig anstacheln. Jeder Anschlag wird für die Community möglichst umfassend dokumentiert und erfahrbar gemacht, um so wiederum den nächsten zu inspirieren. Dabei ist es in den letzten Jahren zu einer Zielverschiebung gekommen: Wenn man die Kette der sich aufeinander beziehenden Terroranschläge einige Jahre zurückverfolgt, erkennt man, dass die Morde früher vor allem explizit frauenfeindlich motiviert waren. Heute bekunden die Täter ein geschlossen faschistisches und explizit antisemitisches Weltbild. Als Radikalisierungsraum funktionieren dabei explizit faschistische Unterforen auf den Imageboards 4chan und 8chan, sowie deren diversen kleineren Ablegern. Diese Boards haben eine spezifische Kultur aus Zynismus, Trolling und selbstreferenziellen Witzen hervorgebracht, auf die sich der Mörder von Halle in der Inszenierung seines Anschlags immer wieder bezieht.
– Das er die Tat mit einer Helmkamera filmte und auf der Gaming Plattform twitch streamte, ist eine Kopie des Vorgehens von Brenton Tarrant, der im März dieses Jahres 55 Menschen in einer Moschee in Neuseeland ermordet hat. Ebenfalls in dieser Kontinuität steht der Massenmord in El Paso im August.
– Zu Beginn seine Videoaufnahme bezeichnet er sich selbst als Anon, was auf die Standardbezeichnung, die jeder User dieser anonymen Imageboards erhält, verweist
– Der Anschlag sollte ein Vorbild für die Community sein: In seinem Manifest beschreibt der Mörder, dass er demonstrieren möchte, dass Massenmorde auch mit selbstgebauten Waffen begangen werden können. Damit wollte er zeigen, dass Terrorakte nach US amerikanischem Vorbild auch an Orten begangen werden können, in denen automatische Schusswaffen nicht einfach verfügbar sind.
Zitat aus dem Manifest: „the whole deal is to show the viability of improvised guns. After all some of you guys don´t have the luxury of industrial made equipment.“
– Dass ein deutscher Neonazi seinen Anschlag auf eine Synagoge auf Englisch kommuniziert, verweist auch darauf, dass er sich an eine Internet Subkultur richtet, in der er selbst radikalisiert wurde.
– Quer durch sein Manifest ziehen sich Insiderwitze. So schreibt er in seiner Waffenbeschreibung über ein Schwert, dass er bei der Tat Mitnehmen wollte: „As much as a Weapon, as a Shitpost“.
Dies alles zeigt: bei dem Anschlag von Halle, wie schon bei dem in Cristchurch, haben wir es mit eine neuen, absolut zynischen Form des Rechtsterrorismus zu tun. Massenmord als Trolling. Ich persönlich halte das für eine neue Form der Menschenverachtung. Es ist nicht nur bis zur Vernichtung gehender Hass. Der Mord ist darüber hinaus auch noch ein dummer Witz. Der Täter begeht den Mord aus einer zynischen, ironischen Distanz heraus, als ultimative Missachtung des Opfers. Diese neue Form der kulturellen Aufladung der Morde ist charakteristisch für eine neue Form des Rechtsterrorismus, die bisher parallel zu den bereits bestehenden rechtsterroristischen Netzwerken funktioniert.
Diese neue Form des Terrorismus wurde recht zutreffend charakterisiert als „stochastischer Terrorismus“. Dabei geht es nicht mehr um spezifisch ausgewählte Anschlagsziele oder um Einflussnahme auf konkretisierbare politische Prozesse. Man sieht sich als Soldaten in einem global ausgetragenen Krieg der weißen Rasse gegen Juden, Feministinnen und People of Color. Man formiert sich als anonymer Mob im Internet und übt digital Gewalt aus, in erster Linie gegen Frauen. Die anonymen Nazis bleiben physisch meist vereinzelt, verlieren sich aber gemeinsam im kollektiven Wahn geteilter Internetplattformen. Man radikalisiert sich gegenseitig in immer zynischere, ironisch distanzierte Menschenverachtung, glorifiziert vorangegangene Mörder und redet über ihren „Highscore“ bis wieder ein weiterer Faschist seinen Krieg in die reale Welt trägt und mordet. Welcher Täter es am Ende ist, ist Zufall, und wo genau er zuschlägt, ist eigentlich Egal. Der Krieg ist global. Der Bezugspunkt ist nicht die Deutsche Volksgemeinschaft, sondern eine als weltweit bedroht empfundene weiße Rasse. Das macht deutlich: Hier von einem Einzeltäter zu reden, ist völliger Schwachsinn. Jemanden, der vermutlich über Jahre Teil eines rechten Mobs war, der seine Identität aufgegeben hat um im Schwarm-Faschismus der Imageboards aufzugehen, der sich dabei selbst so sehr entmenschlicht hat, dass er in der Lage war willkürlich Passanten umzubringen, einen Einzeltäter zu nennen, nur weil der Mob, zu dem er gehört, im Internet stattfindet, ist Schwachsinn.
In dem Manifest des Täters wird ein Weltbild erkennbar, das für die Politically Incorrect Boards von 4chan und 8chan, ihre Ableger, sowie diverse Incel Foren typisch ist. Dabei handelt es sich um ein umfassendes rassistisches und frauenfeindliches Wahnkonstrukt, das durch Antisemitismus zusammengehalten und plausibilisiert wird. Man glaubt dabei, das Weiße eine unterdrückte, von Auslöschung bedrohte Minderheit sind. Man glaubt des weiteren an die Ideologie vom „Großen Austausch“ wie sie auch in und um die AFD verbreitet wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass es eine groß angelegte Verschwörung gibt, die weiße Rasse zu ersetzen. Die verschiedenen Menschengruppen, die von Nazis gehasst werden, sollen dabei ineinandergreifende Rollen übernehmen.
-> Feministinnen und emanzipierte Frauen im Allgemeinen schwächen die herbeihalluzinierte Rassengemeinschaft, wenn sie nicht einer Rolle als Geburtsmaschinen in der heterosexuellen Kleinfamilie entsprechen.
-> Muslime und People of Colour (PoC) stellen die quasi animalische Konkurrenz, die die „weiße Rasse verdrängen wird“, wenn diese sich nicht entsprechend diszipliniert.
Dieser offensichtliche Schwachsinn braucht aber noch eine weitere Komponente, um plausibel zu werden: Antisemitismus.
Denn Frauen und PoC sind im Weltbild der Faschisten ja eigentlich Unterlegene und können von sich aus keine Bedrohung darstellen. Erst durch eine globale jüdische Verschwörung, die im Hintergrund Fäden zieht, können die „überlegenen“ weißen Männer ernsthaft bedroht werden. Hier liegt auch die Anschlussfähigkeit an die Ideologie der sogenannten Incels, die sich ihr gesamtes Weltbild rund um ihre sexuellen Minderwertigkeitskomplexe herum aufbauen. Sie fühlen sich von Frauen bedroht und permanent gedemütigt, obwohl sie davon überzeugt sind, dass es ihr Naturrecht als Männer sein sollte, über die Körper von Frauen zu verfügen. Um diesen Bruch zwischen Wahn und Wirklichkeit zu kitten, bedient man sich wiederum des Antisemitismus und erklärt den Feminismus zur jüdischen Verschwörung. Ob sich der Mörder von Halle selbst als Incel bezeichnet, ist noch nicht klar, er nimmt in seinem Anschlagsvideo jedoch explizit auf diese Ideologeme Bezug.
Die Rolle des Antisemitismus als Letztbegründung ist dann auch der Grund für die Zielauswahl des Mörders von Halle. In seinem Manifest beschreibt er die Synagoge als sehr schwieriges Ziel; er geht davon aus, dass er an den Sicherheitsmaßnahmen scheitern könnte, wie es dann auch tatsächlich passiert ist. Dies steht seinem Ziel, die Nützlichkeit selbstgebauter Waffen für Terroranschläge zu beweisen, entgegen. Er schreibt explizit, dass es für diesen Zweck klüger wäre, ein Autonomes Zentrum oder eine Moschee anzugreifen. Aber: Linke und Muslime bezeichnet er als „Golems“, von Juden kontrollierte Kreaturen. 100 Golems zu töten mache keinen Unterschied, aber wenn es ihm gelänge, auch nur einen Juden zu töten, dann wäre es die Sache Wert.
Als Feindbild benennt er dabei explizit das ZOG, das Zionist occupied Government, die von Zionisten kontrollierte Regierung. Er referenziert damit die Verschwörungstheorie, dass die Regierung der BRD und anderer westliche Länder von Zionisten kontrolliert werde, die eine Israelfreundliche Politik auf Kosten der eigenen Bevölkerung betreibe. Die Praxis des Zionist sagens und Jude meinens wird durch den Täter von Halle bis in ihre letzte mörderische Konsequenz durchexerziert.
Als es ihm dann weder gelingt, in die Synagoge einzudringen, noch die Menschen durch Granatenbewurf herauszutreiben, beginnt er beliebig Leute zu töten.
Jana L. wurde getötet, weil sie zufällig vorbei lief. Kevin S. weil er in seiner Mittagspause einen Döner essen wollte.
Kein vergeben, kein vergessen!