Zwei neonazistische Mordversuche innerhalb von 3 Tagen verzeichneten wir im Oktober 2015 – der Messerangriff auf Henriette Reker am 17. Oktober in Köln und die Messerattacke auf Gegendemonstrant_innen im Leipziger HBf nach einer Pegida Demo am 19. Oktober in Leipzig. Sowohl Frank Steffen, der Henriette Reker in Köln mit einem gezielten Stich zum Hals töten wollte, als auch Kevin Dehn[1] hatten enge Verbindungen zu der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP).
Beide Täter entstammen den Nazistrukturen der 1990er Jahre. Diese haben die rassistische Stimmung – die wie heute durch eine verschärfte Asylrechtsdebatte angeheizt wurde – vor allem in den „neuen Bundesländern“ nach 1989 ausgenutzt. Mit Straßenterror, Brand- und Mordanschlägen versuchten sie ihr Lebensbild einer weißen, „arischen“ Gesellschaft umzusetzen und gingen extrem gewalttätig und menschenverachtend vor. Dabei konnten sie sich als Vollstrecker eines rassistischen „Volkswillens“ gerieren und dieses als Erfolg verbuchen. Nach den Pogromen von Hoyerswerda (September 1991) wurden ihre Forderung nach einer „ausländerfreien Stadt“ erfüllt – die Nazis hatten gewonnen. Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen (August 1992) wurde das Asylrecht in Deutschland faktisch abgeschafft – der rechte Mob hatte gewonnen. Diese „Erfolge“ des rechten Terrors haben eine ganze Generation von Neonazis geprägt und es war klar, dass das religiös anmutende, rechte Walhalla-Denken dieser „Generation Terror“ in den Köpfen bleiben wird. Nicht nur Frank Steffen und Kevin Dehn haben sich in dieser Zeit radikalisiert, sondern auch der NSU und seine Unterstützer_innen.
Schon am Abend der Attentats in Köln wurden Hintergründe zu Frank Steffen von der ABRS veröffentlicht. Zu der Zeit durchsuchte der Verfassungsschutz (VS) noch sein Archiv im Keller und die Polizei ermittelte mal wieder in „alle Richtungen“. Am Montag bestätigte der VS die Informationen der Antifaschist_innen. Auch in Leipzig wurde erst nach Antifa-Recherchen eingeräumt, dass es sich bei dem Messerstecher um einen seit Jahrzehnten aktiven Neonazi handelt – während die Polizei den Täter laufen ließ. In beiden Fällen wurde versucht, den neonazistischen Hintergrund der Mordanschläge zu verschweigen.
Die Verbindungen gibt es von Köln nach Remagen
Der jährliche „Trauermarsch“ mit NS Totenehrung in Remagen ist eine Idee von einem der Köpfe der „Generation Terror“ Ralf Tegethoff. Seit 2003 versucht er ein jährliches „Trauerevent“ für die gesamte westdeutsche Naziszene in Rheinland-Pfalz (RLP) zu etablieren. Bevor seit 2009 jährlich in Remagen ein „Trauermarsch“ zu den Rheinwiesenlagern statt findet, veranstalteten die Nazis zwischen 2003 und 2007 insgesamt sieben Aufmärsche in Marienfels, Remagen, Nassau und Nastätten (alle Rhein-Lahn-Kreis, RLP).
Angemeldet wird das rechte Event in Remagen von Christian Malcoci, maßgeblich beteiligt an der Organisation sind aber Ralf Tegethoff sowie Rene Laube. Eine große Rolle spielt auch die Dortmunder Neonaziszene, die durch die alten FAP Seilschaften von Siegfried Borchardt und Ralf Tegethoff verbunden sind. Wenn man sich die anderen regelmäßigen Teilnehmer_innen in Remagen anschaut, findet man nicht nur neue und alte Nazikader, sondern auch viele Gesichter der 1990er Jahre: Freunde, Kameraden, Führer und Hintermänner von Frank Steffen.
Wiking-Jugend und FAP – selbsternannte Hitler-Jugend und SA
In Remagen marschiert der Rechtsterrorismus der verbotenen Strukturen von FAP und Wiking-Jugend (WJ) der 1990er Jahre zusammen mit dem neuen Rechtsterrorismus aus Dortmund, Aachen, Köln und des Aktionsbüro Mittelrhein (ABM) – wie die Antifaschistische Kampagne „NS Verherrlichung stoppen!“ in ihrem Aufruf feststellt. Grund genug, die Aktivitäten dieser verbotenen Organisation genauer zu betrachten.
Die im Dezember 1952 als Nachfolge der verbotenen Reichsjugend der Sozialistische Reichspartei gegründete Wiking-Jugend[2] war nach dem Vorbild der Hitler-Jugend in »Gaue« und »Horste« unterteilt. Sie unterhielt engste Kontakte zur NPD, zur Nationalistischen Front (NF) und zur FAP. Die WJ verstand sich als elitäre Gemeinschaft, die dem neofaschistischen Spektrum neues Führungspersonal heranziehen sollte. Die Führer und Mitglieder der WJ wurden immer wieder wegen terroristischer Anschläge verurteilt, wie 1979 die Funktionäre Manfred Börm und Uwe Rohwer. 1983 wurden bei Mitgliedern der WJ Waffen, Bombenbauanleitungen und Zeitzünder gefunden[3] . Verbindungen der WJ zur Wehrsportgruppe Hoffman existierten über gemeinsame Ausbildung.
Die FAP, die sich rassistischer Hetze und der Rehabilitierung des Nationalsozialismus verschrieben hatte, verstand sich als „moderne SA“ und trat durch Propaganda-Aktionen bei den jährlich stattfindenden Rudolf Heß-Gedenkmärschen in Erscheinung. Viele gewalttätigen Aktionen in den 1990ern sind ihr und ihrem Umfeld zuzuschreiben.[4]
Frank Steffen, der Attentäter von Köln, war schon in den 1980er und 1990er Jahren in die Bonner Strukturen der WJ und der FAP eingebunden. Der als besonders gewalttätig geltende Steffen trug damals den Spitznamen „Der Messerstecher“, weil er vollgesoffen Jagd auf Menschen aus der linken und Punker-Szene machte. Er fuhr mindestens zweimal zusammen mit den Nazikadern Christian Malcoci und Ralf Tegethoff zu den streng konspirativ organisierten „Rudolf-Heß-Märschen“ in Fulda (1993) und Luxemburg (1994)[5]. Wer hier mitmarschierte, gehörte zum harten Kern der europäischen NS-Szene.
Nachwehen der WJ und FAP Strukturen in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis.
Schon mit 14 Jahren trat Ralf Tegethoff in die WJ ein und war innerhalb kürzester Zeit Horst- und Gauführer. Er war leitende Kraft aller örtlichen und überörtlichen organisatorischen Aktivitäten der WJ. Laut eines Artikels im Antifa Jugendinfo[6] von 1999 wird er 1983 „mit sieben Kameraden bei Wehrsportübungen am Petersberg festgenommen. Ein Jahr später wird er hierfür (…) verurteilt.“[7] Hier flog eine der vielen militärischen Übungen auf. Wichtig waren dem selbsternannten Führer der Bonner und Rhein-Sieg Naziszene vor allem „soldatischen Tugenden“[8] zu denen militärischer Drill und absoluter Gehorsam zählen.
Formaler Chef der FAP Bonn, in der sich auch Frank Steffen tummelte, war Norbert Weidner. Dieser holte sich seine Befehle aber bei dem in Bad Honnef/Aegidienberg residierenden Neonazikader Tegethoff. So unterstanden die gewaltbereiten FAP´ler und Skinheads der ersten Reihe Tegethoffs Einfluss und Befehlen. Was sich hier sehr deutlich zeigt ist, dass die Attentäter bereits in den 1980ern und 1990er Jahren durch Scharfmacher, Führer und Wehrsportausbilder wie Ralf Tegethoff radikalisiert wurden und somit zu den gut vorbereiteten Attentätern von 2015 wurden. Weitere Kameraden von Steffen, wie z.B. der auch im Zusammenhang mit dem NSU in Verdacht geratene Bonner Nazi und Führer des kürzlich verbotenen „Sturm 18“, Dirk W., gelten Experte_innen als tickende Zeitbomben. Indoktriniert vom Hass und der Gewalt in den 1990er Jahren könnten sie jederzeit zu Attentätern werden, wie das Beispiel Frank Steffen auf brutale Art und Weise bewiesen hat.
Organisationen sind Worte, die sich ändern – die Taten bleiben gleich.
Anders als von den Behörden behauptet, war Steffen noch bis mindestens Ende 1998 fest in der bundesdeutschen Naziszene verwurzelt. Beweis dafür ist das Interview der Neonaziband Stahlgewitter im Neonazi-Fanzine „Schwarze Fahne“ (SF).
Frank Steffen wurde auch in seiner Haftzeit von den Kameraden nicht vergessen. Am Ende eines brisanten Interviews mit der Naziband Stahlgewitter im Neonazi-Fanzine „Schwarze Fahne“ Nummer 3/1998 werden „inhaftierte Kameraden“ gegrüßt. Unter ihnen ist Frank Steffen, der mit vollem Namen genannt wird und Dirk W.. Zu den Gründungsmitgliedern von Stahlgewitter gehören Daniel „Gigi“ Giese und Frank Krämer. Daniel Giese veröffentlichte 2010 noch vor der Selbstenttarnung des NSU 2011 auf der CD „Adolf Hitler lebt!“ den Song „Döner-Killer“. Herausgeber der „Schwarze Fahne“ war der NPD-Jugendverband Junge Nationaldemokraten (JN) NRW. Als betreuendes Redaktionsmitglied für die Ausgabe 3/1998 wird übrigens Melanie Dittmer genannt, „Wehrsportlerin“[9], DÜGIDA-Organisatorin und Leiterin des HOGESA Ordnerdienstes. Melanie Dittmer war jüngst an Übergriffen auf Antifaschist_innen in Bonn beteiligt[10].
Kurze Wege: Zu den Hintergründen von Steffen, Stahlgewitter und Tegethoff
Warum grüßt eine der radikalsten Nazibands in einem Interview einen inhaftierten „Kameraden“ aus einer fremden Stadt?! Die Verbindung ist Frank Krämer, 1998 Gründungsmitglied der Band und aktives FAP Mitglied[11]. Einen weiteren Beweis, wie sehr Steffen zum harten Kern der FAP Bonn gehörte, lieferte Frank Krämer in einer aus Schutzbehauptungen bestehenden Stellungnahme auf dem Nazi-Forum Altermedia. Frank Krämer weiß zu berichten, dass Frank Steffen auf den FAP-Bonn Kameradschaftsabenden anzutreffen war. Dort habe er (Krämer), der ja eigentlich zur FAP Rhein-Sieg gehört, Steffen einige Male getroffen.
Auch sein Bruder Markus Krämer wurde zusammen mit Frank Steffen sozialisiert. Beide entwickelten durch die Indoktrinierung und Ausbildung der FAP und WJ Führer ein menschenverachtendes Weltbild. Heute übernimmt Markus Krämer eine ganz besondere Rolle: als treuer Vertrauter Ralf Tegethoff und Fahnenträger ist er Mitglied der Neonazikameradschaft Sturm 08/12, die von Ralf Tegethoff gegründet wurde und sich auf eine lokale SA Abteilung bezieht. Markus Krämer ist fester Bestandteil des Naziaufmarsches in Remagen. Das Heldengedenken findet nur statt, wenn er mit seiner preußischen Fahne neben Ralf Tegethoff steht[12].
Naziaufmarsch 2014 in Remagen: Ralf Tegethoff (mitte) mit seinem Fahnenträger Markus Krämer rechts neben ihm
[1] Leipzig.antifa.de: https://www.inventati.org/leipzig/?p=3807
[2] Ausführliche Informationen zur WJ http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/WJ.htm
[3] http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/WJ.htm
[4] http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/FAP.htm
[5] Antifa Jugendinfo Oktober 1994 (Linksunten Foto)
[6] Antifajugendinfo 1999/2
[7] Antifa Jugeninfo1999/2
[8] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/partei-soldaten-der-extremen-rechten
[9] Dittmer stellte jüngst Videos ins Internet, in denen sie mit anderen Neonazis den Kampf mit Messern und Stöcken trainierte.
[10] http://www.dielinke-bonn.de/aktuelles/detail/zurueck/aktuelles-2/artikel/angriff-rechtsextremer-auf-den-sprecher-der-bonner-linksjugend/
[11] Selbstbezichtigung 2.11.16 http://altermedia-deutschland.info/content.php/10073-Luegenpresse-in-Aktion-Dieses-Mal-die-Rhein-Sieg-Rundschau
[12] http://remagen.blogsport.de/2014/10/04/ns-glorifizierung-und-heldengedenken/