Antifa Bonn/Rhein-Sieg

Übersicht und Einschätzung der verschwörungsideologischen Corona-Gegner-Szene in Bonn

Stand 12/2020

Einleitung

Seit Beginn der Coronapandemie ist das Wissen über das Virus, sowie über die gesellschaftlichen und politischen Folgen der Maßnahmen dagegen enorm angewachsen. Parallel entwickelte sich aber auch ein breites Spektrum sog. alternativer Deutungen in Form von Verschwörungsideologien. Dieses Spektrum verbindet so verschiedene Ausrichtungen wie esoterische Impfgegner*innen, Reichsebürger*innen oder Hooligans aus dem HOGESA Spektrum.

Der Reflex, Krisen oder Konflikte mithilfe von Verschwörungsideologien zu erklären, stellt kein neues Phänomen dar, insbesondere wenn diese das Potenzial haben, erhebliche Verwerfungen nach sich zu ziehen und häufig schwer zu überschauen sind. In nahezu allen tieferen Krisen können vergleichbare Phänomene beobachtet werden – viele weisen dabei antisemitische Strukturen auf. Bereits im Mittelalter machten erhebliche Teile der Menschen Jüdinnen und Juden als Verursacher*innen der Pest aus und es kam zu einer Vielzahl von Pogromen. Auch wenn viele Verschwörungsideolog*innen im Falle von Corona heute nicht offen „den Juden“ hinter Corona vermuten, folgen ihre Theorien weiter dem Muster des Antisemitismus. Dieses Muster sieht immer ähnlich aus: Eine kleine verschlagende und gierige Elite, die im Geheimem die Welt regiert, versucht durch Krisen, Krankheiten und Konflikte die Welt vollends unter ihre Kontrolle zu bringen.

So verrückt und skuril Teile des Spektrums von Verschwörungsideologin*innen auch erscheinen mögen, die Mechanismen und die Wirkung, die sie antreiben und ihr Weltbild darstellen, ist gefährlich und hat in der Vergangenheit und aktuell vernichtende Wirkungen entfaltet. Leider wurden Aspekte von Verschwörungsideologien bei der Untersuchung vergangener gesellschaftlicher Krisen nur am Rande betrachtet, weshalb das Phänomen gesellschaftlich nur wenig bekannt ist. Darum möchten wir dazu anregen, sich intensiver mit diesem Feld zu beschäftigen – auch weil ein erheblicher Teil der Gesellschaft anfällig für diese zu sein scheint. Der Anschlag auf das Robert-Koch-Institut im Oktober 2020 kann als Warnung vor dem Gewaltpotenzial, welches in dem breiten Spektrum der Verschwörungsideolog*innen steckt, gesehen werden. Trotz dieses Potentials sollten wir weder in blinden Alarmismus verfallen, noch sie als Spinner verharmlosen. Aus diesem Grund geben wir in diesem Artikel eine Übersicht über das Spektrum der Verschwörungsideolog*innen in Bonn und Umland.

Mobilisierungspotential und Zusammensetzung

Das Mobilisierungspotential für lokal organisierte und durchgeführte Kundgebungen hat sich seit dem Beginn der Aktivitäten Ende März/Anfang April im niedrigen bis mittleren zweistelligen Teilnehmer*innenbereich eingependelt. Zu Beginn der Aktivitäten im April gab es eine größere Ansammlung von ca. 100-150 Personen. Ansonsten sind die größeren Kundgebungen am 10.10. und 14.11. mit jeweils 300-400 Personen durch das Einladen von prominenten Szenegrößen, wie Bodo Schiffmann oder David Eckert zu erklären.

Von außen betrachtet sind der überwiegende Teil der Teilnehmer*innen in einem eher bürgerlichen bis esoterischen Umfeld anzusiedeln. Vereinzelt zeigen sich jedoch Teilnehmer*innen, die dem burschenschaftlichen Milieu zuzuordnen sind oder sich im lokalen Kreisverband der AfD engagieren (siehe Exkurs: Position der AfD Bonn).

Einige in Bonn aktive Gruppen

Gemeinsam 2020 (Widerstand 2020 Bonn)

Ende März/Anfang April ursprünglich als Ortsgruppe der vermeintlichen Massenpartei „Widerstand2020“ gegründet. Nach dem Niedergang von „Widerstand2020“ benannte sich die Gruppe in „Gemeinsam2020“ um. Über Wochen hinweg veranstaltete die Gruppe montags „Spaziergänge“ in der Bonner Innenstadt und versammelte sich am Samstagnachmittag für eine stille Mahnwache auf dem Kaiserplatz. Mittlerweile findet nur noch die Mahnwache am Samstag statt, bei der es vor allem um einen persönlichen Austausch zwischen den Teilnehmenden und gemeinsame Meditation geht.

„Schwarze Wahrheit“-Flashmobs

Samstags gegen 12 Uhr gibt es seit einigen Wochen eine Flashmob-ähnliche Aktion, die im Sinne eines Artikels im Multipolar-Magazin gestaltet ist. Ziel ist es dabei nicht, eine typische politische Demonstration durchzuführen und Passant*innen von den eigenen Inhalten zu überzeugen. Die mit Masken und Maleranzügen verhüllten Teilnehmer*innen laufen als gesichtslose „Masken-Zombies“ zu verschiedenen Jingles mit Bezug auf die Corona-Maßnahmen durch die Bonner Innenstadt. Die dystopischen Jingles sollen als Überspitzung der bestehenden Maßnahmen dienen und als Weckruf vor der vermeintlich bestehenden bzw. kurz bevorstehenden Corona-Diktatur warnen. Dazu soll die einheitliche Kleidung es kritischen Beobachter*innen wie Journalist*innen erschweren, sich ein Bild über die verschiedenen an der Aktion teilnehmenden politischen Spektren zu machen. Mit dieser politischen Verschleierungstaktik wird versucht, öffentlich keine Angriffsfläche mehr zu bieten, und den Vorwurf zu vermeiden, man gehe Bündnisse mit Neonazis oder Reichsbürger*innen ein. Ähnliche Motive stehen hinter der Auslassung (politischer) „Argumentation“. Indem nur noch ein dystopisches Bild inszeniert wird, könnten Medien und kritische Beobachter*innen ihre Argumente nicht mehr umdeuten oder mit Fakten angreifen. Kommuniziert werden soll letztlich nur Angst, die zum Handeln zwingen soll.

Querdenken 228

Im September gegründet, folgten auch die Bonner Verschwörungsideolog*innen dem Trend, Querdenken-Ortsgruppen zu gründen. Zumindest teilweise setzte sich die Gründungsriege der Querdenken 228-Gruppe aus Mitgliedern von „Gemeinsam2020“ zusammen. Als erste größere Aktion fand am 10.10.2020 eine mit „Gemeinsam2020“ veranstaltete Kundgebung auf dem Hofgarten mit ca 300-400 Personen aus weiten Teilen des Rhein-Sieg-Kreises und Teilen NRWs statt.

Weitere Veranstaltungen waren unter anderem eine Mahnwache zum Beginn der Karnevalssession am 11.11.2020 um 11:11 Uhr auf dem Münsterplatz mit 10-15 Personen, sowie eine Kundgebung anlässlich der Änderung des Infektionsschutzgesetzes am Stadthaus am 18.11.2020 mit ca 20-30 Personen. Des Weiteren ging die Organisation eines Autokorsos am 18.11.2020 aus Kreisen der Bonner Querdenker*innen hervor.

Freiheitsboten Bonn/Rhein-Sieg

Die Freiheitsboten Bonn/Rhein-Sieg organisieren das Verteilen von diversen verschwörungsideologischen Flyern in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis. Sie beteiligten sich auch an dem gezielten Zuschicken von Flyern zur Verunsicherung und Einschüchterung von Lehrkräften mit sogenannten „Lehrerbriefen“.

Studenten stehen auf Bonn

Die Ortsgruppe Bonn hat sich Ende Oktober gegründet. Eigene öffentliche Aktivitäten sind noch nicht zu beobachten. Einzelne Mitglieder beteiligten sich an der verbotenen Info-Bus-Tour-Kundgebung, der Karnelvals-Mahnwache von Querdenken 228 und anderen Kundgebungen in NRW.

Inhaltliche Ausrichtung der verschwörungsideologischen Szene

Inhaltlich sind eine Vielzahl von verschwörungsideologischen Erzählungen innerhalb der Gruppen zu finden. Im Rahmen der Verbreitung von sogenannten „alternativen Medien“ und dem Teilen von Inhalten der in der Szene prominenten Ärzt*innen, Rechtsanwält*innen etc. werden die eigenen Fantasien mit vermeintlichen Fakten untermauert. Es findet ein Austausch über die eigenen Erfahrungen mit der Maskenpflicht in Geschäften, Attesten zu Maskenbefreiung etc. statt.

Dabei ist man sich jedoch nicht einig, ob Corona existiert oder nicht, oder ob Corona nur nicht so gefährlich sei, wie alle sagen. Einig ist man sich jedoch, dass die Maßnahmen abzulehnen seien. Es finden sich zahlreiche Verschwörungserzählungen, wie die klar antisemitische Erzählung, die NWO oder Bill Gates seien verantwortlich für die Pandemie. Ebenfalls finden sich zum Teil Versatzstücke aus der QAnon-Bewegung, wie etwa die Verehrung Trumps als letzte Hoffnung gegen die Corona-Diktatur und die Leugnung seiner Wahlniederlage. Auch werden Nachrichten aus QAnon-Kanälen in mehreren Gruppen geteilt, auch wenn diese teilweise eher spöttisch kommentiert werden.

In einer Vielzahl der Gruppen finden sich diverse Beispiele für klar antisemitische und geschichtsrelativierende Aussagen, die nur im begrenzten Rahmen für Widerspruch sorgen. Beispielsweise können Angestellte von öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern als „Corona-Holocaust-Leugner“ bezeichnet werden. Ebenfalls wird die Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes unkritisch mit dem Ermächtigungsgesetz verglichen bzw. diese Relativierung bewusst vorgenommen. Dies passierte auch durch mehrere Redner auf der Querdenken228-Kundgebung am 18.11.2020.

In Teilen der Gruppen, wie etwa Gemeinsam2020, gab es wiederholte Distanzierung von rechtem Gedankengut und der AfD. Dennoch finden sich zahlreiche Nachrichten, die sich positiv auf AfDler*innen beziehen. Des Weiteren wurden auf der Kundgebung von Querdenken228 und Gemeinsam2020 nicht nur rassistische Schilder geduldet, sondern sowohl auf Schildern die Verfolgung unter dem NS relativiert, als auch ein NS-Propaganda-Bild für die eigenen Zwecke abgewandelt.

Exkurs: Position der AfD Bonn

Zu Beginn der Pandemie bezog die AfD Bonn nur sehr begrenzt bis gar keine Position, was Maßnahmen und die Pandemie an sich anging. Spätestens jedoch mit dem sich bundesweit vollziehenden Wandel innerhalb der AfD das Thema Corona betreffend, beziehen sowohl Funktionäre als auch der Kreisverband selbst eine Maßnahmen-kritische bis geschichtsrevisionistische und verschwörungsideologische Positionen. So zum Beispiel der Duisdorfer Bezirksvetreter Alex Savelsberg, der die Querdenken228-Kundgebung gegen das Infektionsschutzgesetz am 18.11.2020 in Begleitung eines weiteren AfDlers besuchte. Auch der ehemalige AfD Bundestagskandidat und Ex-Bezirksvorstand Sascha Ulbrich äußert sich auf seinen Kanälen solidarisch mit der Querdenken-Bewegung und freute sich über die trotz Verbot stattgefundene Kundgebung am 14.11.2020.

Fazit

Die nach außen hin esoterisch-bürgerliche Fassade trügt. Innerhalb der Gruppen gibt es zahlreiche menschenfeindliche Ansichten, welche abzulehnen und auf ganzer Linie zu bekämpfen sind. Aber: Die Szene ist auf der Straße bei weitem nicht so stark, wie es die großen Kundgebungen im Oktober und November vermuten lassen. Sobald es keine prominenten Redner*innen gibt, bewegen sich die Teilnehmer*innen-Zahlen auf einem niedrigem Niveau. Dennoch gibt es, wie die Schlägerei zwischen Polizei und Reichsbürgern in einem Supermarkt in Troisdorf zeigte, auch im Bonner Raum das Potential für gewalttätige Übergriffe. Daher werden wir die Szene weiter beobachten, Aktivitäten dokumentieren und bei Bedarf intervenieren. Gerade mit dem Beginn der Impfungen in Deutschland ist mit vermehrten Aktionen zu rechnen.

Weiterführende Links zum Thema Verschwörungsideologien und Umgang mit Verschwörungsideolog*innen:

MOBILISIERBARE DEUTSCHE – Eine politische Einordnung der „CORONA-REBELLEN“ in Münster von Eklat Münster

QAnon in Deutschland – de:hate report #0 von Amadeu Antonio Stiftung

Wissen, was wirklich gespielt wird… Krise, Corona, Verschwörungserzählungen von Amadeu Antonio Stiftung


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