Das Jahr 2019 geht zu Ende und doch ist es für uns noch zu früh, Bilanz zu ziehen.
Was wir dem Förderkreis des Oscar-Romero-Haus e.V. und den Leser*innen des Romero Brief nicht vorenthalten wollen, ist die Bedeutung, die die Verleihung des Oscar-Romero-Preis für die Antifa Bonn/Rhein-Sieg hat und die politische Situation, aus der seine Bedeutung resultiert.
Am 15. Juni dem Tag der Preisverleihung wurde der mutmaßliche Mörder des CDU Politikers Walter Lübcke verhaftet. Der dringend tatverdächtige Stephan Ernst war Antifaschist*innen kein Unbekannter. Die Recherche Gruppe Exif veröffentlichte wenige Tage nach der Verhaftung, dass Ernst bereits in den 90er Jahren gewalttätiger Neonazi war, er gehörte der verbotenen Freiheitlichen Arbeiter Partei (FAP) an und verübte bereits 1993 einen Anschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete.Nur durch die schnelle Reaktion der Bewohner*innen des Heims kam 1993 niemand zu Tode. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Ernst der Terrororganisation Combat 18 nahe steht oder. dort selbst Mitglied ist.
Zwei Aspekte der Tat bzw. der Reaktionen darauf möchten wir hervorheben, um sie politisch einordnen zu können.
Erstens: Ernst gehört auf Grund seiner politischen Vergangenheit und seines Alters zur Generation Terror. Charakterisieren lässt sich die Generation Terror so: die ihr Angehörenden haben durch ihre politische Sozialisation in neonazistischen Organisationen wie der FAP oder den freien Kameradschaften ein geschultes und fundamental geschlossenes faschistisches Weltbild. Weiter verfügen sie über praktische Erfahrung mit Gewalt, welche sie Anfang der 90er durch körperliche Angriffe auf Geflüchtete, Migrant*innen und politische Gegner*innen sammelten; nicht wenige verfügen über eine paramilitärische Ausbildung. Trotz des Rückzugs älterer Aktiver aus der offen auftretenden Neonaziszene, scheint bei einer unbekannten Zahl von Personen ihr neonazistisches Weltbild sowie ihre Bereitschaft zu Gewalt geblieben zu sein. Am Beispiel Frank Steffen – der Angreifer auf die Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, wird dies deutlich. Steffen zog sich ins Private zurück und entzog sich so der Aufmerksamkeit von Antifaschist*innen und Repressionsbehörden. Mit Veränderung der politischen Verhältnisse und der rassistischen Diskurse im Kontext Flucht und Migration im Jahr 2015 reaktivierte sich jedoch sein ideologisches und gewalttätiges Potenzial, was zum beinahe Mord an Frau Reker führte. Der Verfassungsschutz zeigte sich bei beiden Tätern scheinbar überrascht von der „plötzlichen“ Tötungsabschicht. Antifaschist*innen dagegen überraschten die Taten spätestens nach der Selbstenttarnung des NSU wenig. Sie warnen schon länger vor terrorismusaffinen Neonazis und ihren Strukturen. Die Zivilgesellschaft und die politische Akteur*innen zeigten sich geschockt von den Taten, jedoch ebbte die öffentliche Debatte anders als bei islamistischem Terror schnell wieder ab. Gerade der immer wiederkehrende Schock und die Überraschung weißt auf eine Unkenntnis und Ignoranz gegenüber eine bis tief in die Exekutive (NSU 2.0, Nordkreuz, …) reichende extrem rechte Szene hin.
Wir sehen uns daher gezwungen, Rechtsterrorismus als einen unserer kontinuierlichen Themenschwerpunkt auch wieder im Rahmen unserer Kampagne NS-Verherrlichung stoppen zu thematisieren. Diese wird ihren Höhepunkt am 16.11.19 in der Demonstration gegen den jährlich stattfinden Neonaziaufmarsch in Remagen haben. Wir hoffen auf Interesse der kritischen Zivilgesellschaft.
Zweitens: Dass ein CDU-Politiker Ziel eines neonazistisch motivierten Anschlags wurde, zeigt in größter Brutalität: jeder und jede, die durch humanistische, antifaschistische oder demokratische Haltungen die Aufmerksamkeit von Neonazis oder Protofaschist*innen auf sich zieht, kann Opfer von verbalen Attacken, politischen Angriffen bis hin zu mörderischer Gewalt werden. Diese Gefahr verdeutlicht ein weiteres mal die Notwendigkeit aber auch die Möglichkeit einer breiten Solidarität und Zusammenarbeit gegen Faschismus und Neonazismus. Dabei geht es um nichts weniger als Menschenleben und demokratische Freiheiten. Neben Gewalt und verbalen Attacken greifen rechte Akteure wie die AfD und rechte Politiker*innen der CDU/CSU Antifaschist*innen und zivil-gesellschaftliche Initiativen vermehrt politisch an. Als Beispiel ist konkret der Antrag der AfD-Fraktion des Bundestag zu nennen. Der Antrag mit dem Titel „Antiextremistischer Grundkonsens in Politik und Gesellschaft – Rechtsstaat und Demokratie schützen – Antifa ächten“ hat das Ziel, eine Entsolidarisierung von Abgeordneten mit antifaschistischen Gruppen und Personen herbei zu führen, um damit weiter den antifaschistischen Grundkonsens in der Gesellschaft zu unterminieren. Durch die Propagation eines antiextremistischen Grundkonsens – wobei in dem Antrag konstruiert wird, Antifaschismus sei grundsätzlich extremistisch – versucht die AfD die Solidarität und Zusammenarbeit von außerparlamentarischen und parlamentarischen Antifaschist*innen zu unterbinden. Hinter solchen politischen Angriffen mit Anträgen und Anfragen steht ein größeres Ziel, welches nachhaltig kritische Teile der Gesellschaft schwächen könnte. Eins der großen Ziele – genauer formuliert eines ihrer Etappenziele – ist die Ausschaltung der Opposition gegen sie, welches ihrem Endziel, der Entliberalisierung der deutschen Gesellschaft, im Wege steht.
Bekannt wurde dieser Antrag in den Medien nur als Randnotiz in der Berichterstattung über den Ordnungsruf von Wolfgang Kubicki (FDP) gegen die Abgeordnete der Linkspartei Martina Renner wegen des Tragen eines Ansteckers der Antifaschistischen Aktion. An dieser Stelle möchten wir Frau Renners „Danke Antifa“ gerne zurück geben mit einem „Danke Martina Renner“.
Daran anschließen möchten wir auch nochmal unseren Dank für die Verleihung des Romero-Preises an die Antifa Bonn/Rhein-Sieg aussprechen und seine Bedeutung für uns hervorheben. Der Preis ist nicht nur Auszeichnung und Wertschätzung unserer Arbeit, sondern auch praktisches Zeichen des Zusammenhalt gegen rechte Bestrebungen, einen Keil in die Zivilgesellschaft zu treiben, um so Platz für die AfD zu machen. Es ist nun an uns allen, auf die Straße zu gehen, um nicht nur die Veränderung des globalen Klimas, sondern auch die Verrohung des gesellschaftlichen Klimas zu stoppen. Auch braucht es eine Form der Stärke und des Selbstbewusstseins, sich nicht von Vorwürfen, man sei Extremist oder Extremistin, in die Defensive drängen zu lassen. Dabei ist Solidarität und Zusammenhalt Gold wert.