Antifa Bonn/Rhein-Sieg

Das Elend der Abschottung

Vom 15.-24. Juli 2016 findet in Thessaloniki das No Border Camp 2016 statt. Zur Zeit sind mehrere Karawanen dorthin unterwegs. Mehr Informationen findet Ihr hier: No Border Camp Thessaloníki 2016

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir hier einen Diskussionsbeitrag der Antifa Bonn/Rhein-Sieg

Das Elend der Abschottung

Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und ihre Zusammenhänge dominierten während des vergangenen Jahres eindeutig den öffentlichen Diskurs. Die zentralsten Elemente dieses Themenkomplexes waren allem Anschein nach zum einen die Frage nach der Regulierung dieser Migrationsbewegungen, und zum anderen eine Frage nach Identitäten und etwas, was Oswald Spengler den Kampf der Kulturen nannte1.

Während des gesamten Prozesses der Zuspitzung von Ressentiments, Ablehnung, bis hin zu offen ausgetragener Gewalt fanden linksradikale Positionen kaum bis gar kein Gehör in der Öffentlichkeit. Von extrem rechten neonazistischen Banden auf den Straßen bis hin zu offiziellen Stellungnahmen der Partei „Die Linke“ zog sich ungebrochen die Überzeugung durch, es liege in der Aufgabe des Staates, die ankommenden Menschen als Masse zu verwalten und in jedem Fall dafür zu sorgen, dass es nicht zu viele würden. Insofern scheint es wohl angebrachter zu sein, von einer Abgrenzungskrise, als von einer Flüchtlingskrise zu sprechen. Jüngere Ereignisse, wie die Schließung von Europäischen Grenzen, die Inhaftierung von Menschen, die Landesgrenzen überschreiten oder auch die Verabschiedung des Integrationsgesetzes Mitte Mai legen sämtlich Zeugnis ab von der Tendenz, ausschließlich „integrationswillige“, also sich der bürgerlichen Leistungsethik beugende Menschen zu dulden.

Die Annahme, dass die interne Logik eines funktionierenden Staates elementar auf der Homogenität seiner Bevölkerung beruhe, ist ganz klar rassistisch und ein Armutszeugnis aller an der Diskussion beteiligten Positionen, denen es offensichtlich nicht gelingt, menschliches Zusammenleben ohne Identitätszwang und staatlichen Paternalismus zu denken.

Der Prozess der Polarisierung zwischen menschenverachtender Ideologie von Überfremdung, Nationalismus und Obrigkeitshörigkeit auf der einen und Entrechtung, Kriminalisierung und systematische Erzeugung von Leid auf der anderen Seite ist längst nicht abgeschlossen, und es ist dringender denn je, praktische, wie theoretische Solidarität mit den Opfern von Vertreibung und Ausgrenzung zu zeigen.

In den Köpfen vieler Beteiligter ähneln die Exzesse heute der ausgetragenen Gewalt in den 90er Jahren. Damals wie heute marodieren gewalttätige Rassist*innen durch die Straßen und die Zahl der versuchten oder erfolgreichen Brandstiftungen von Geflüchtetenunterkünften steigt ins unüberschaubare. Inzwischen scheint es, zumindest teilweise, auch wieder so zu sein, dass offen ausgetragener Rassismus Einzug in die Köpfe der sogenannten bürgerlichen Mitte erhält und somit Äußerungen, in denen der Tod der Geflüchteten fast schon gefordert wird, salonfähig werden. Unterdessen pöbelt die AfD von rechts und erweitert dadurch den Rahmen des Sagbaren mit jeder menschenverachtenden Tirade, die durch die Medien schwappt.

Engagements, die praktische Solidarität zeigen, werden von Nazis bedroht und von staatlicher Stelle in vielen Fällen schikaniert, so dass Menschen, die zunächst gerne halfen, resignieren und den Falschen Kräften das Feld überlassen. Die Beispiele hierfür sind zahlreich, und man könnte vielleicht auf die repressive Funktion des Paragraphen 129 f. verweisen. Anstatt damit rechtem Terror gefährlich zu werden, ziehen es die Ordnungshüter*innen vor, diesen Gummiparagraphen zu nutzen, um linkes oder linksradikales Engagement anzugreifen. Hilfe bei der Grenzüberschreitung wird kriminalisiert und als Schlepperei auch in moralischer Hinsicht diffamiert. Ebenso geschieht es, wie zum Beispiel in Potsdam, wo Genoss*innen in ihrer Arbeit für Geflüchtete vom DRK verdrängt wurden, dass zunächst ziviles Engagement von staatlichen Behörden unterwandert oder verunmöglicht, und damit verunmenschlicht wird.

Ein konsequenter Kampf gegen Rassismus und Faschismus wird also auf zwei Ebenen ausagiert: Zum einen ganz klar „auf der Straße“, wo die Nazis, Faschos, Rassisten, Wutbürger, Patrioten, besogten Eltern,… immer noch viel zu viel Platz und Gehör finden. Aber zum anderen muss auch auf institutioneller Ebene theoretische, wie praktische Kritik angebracht werden, wenn die Logik des Nationalstaats als alternativlos verkauft wird und sie gleichzeitig derart viel Leid erzeugt, dass die Toten nur noch erwähnt werden, wenn sie in die Hunderte gehen.

  1. Siehe: Spengler, Owald: Der Kampf der Kulturen; … Hier werden Ideen entwickelt, die in regelmäßigen abständen, wie auch zuletzt sehr prominent bei Thilo Sarrazin, formuliert werden. Das zentrale Motiv dieser Äußerungen ist die Vorstellung kultureller Identitäten, deren Bedrohung fabuliert wird. Als könnte man Kulturen, wenn es sie überhaupt so eindeutig gibt, von außen quasi verdünnen. [zurück]

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