Antifa Bonn/Rhein-Sieg

Die Straßen sind leer und Protest ist nötig

Aktivismus, Protest und Corona

Ein Feld des linken Aktivismus – die Straße – ist derzeit durch die Coronopandemie nicht in gewohnter Weise für Aktivist*innen nutzbar. Dies legt, wie allgemein bekannt, an dem staatlich verordneten Ausnahmezustand in Form von Kontaktverboten und Ausgangsbeschränkungen, aber auch an freiwilligen Einschränkungen von Aktivist*innen selbst – Treffen wurden abgesagt und Plena werden von einigen Gruppen über Messengerdienste abgewickelt. Wir müssen mit ansehen – und das in noch viel höherer Geschwindigkeit als bisher – wie grundlegende Rechte der bürgerlichen Gesellschaft, hinter der wir nicht zurück fallen, sondern die wir überwinden wollen, abgeschafft werden. Andererseits sind soziale, antirassistische und antifaschistische Kämpfe in krisenhaften Zeiten wichtiger denn je, denn soziale und gesellschaftliche Ungleichheit und Not spitzt sich dramatisch zu – auf nationaler wie auf globaler Ebene. Vergessen wir als Antifaschist*innen nicht, dass Faschist*innen sich bereits seit Langem auf genau solche Krisen vorbereiten. Wir sollten aber auch nicht die Chancen für linke Antworten verpassen, denn diese zunächst als Gesundheitskrise wahrgenommene Situation zeigt genau die Grenzen neoliberaler, kapitalistischer Politik auf und bietet vielfältige Ansatzpunkte für soziale Kämpfe und gelebter Solidarität.

Wir möchten mit diesem Beitrag eine Diskussion über linken Aktivismus anstoßen, der mit dem beginnt, dessen wir gerade beraubt sind, nämlich des Zusammenschlusses und der gemeinsamen Aktion auf der Straße. Es ist klar, dass diese Diskussion nicht damit enden kann, eine Lösung zu finden, wie wir uns trotz “social distancing” organisieren. Plena via Livechat und Diskussionen in geteilten Textdokumenten können nur der Anfang und eine Krücke sein, denn die große Frage steht im Raum: Wie wird der Ausnahmezustand wieder aufgehoben? Wir sind nicht die einzigen, die diese Frage stellen, doch wir haben uns daran gewöhnt, Protest auf die Straße zu tragen und wir dürfen den Zeitpunkt nicht verpassen, diese zurück zu fordern. Die langfristigen Folgen der Corona Pandemie auf die bürgerlichen Rechte sind noch nicht abschätzbar und viele stehen der erst mal nur als temporär angekündigten Einschränkung ihrer Rechte unkritisch zustimmend gegenüber. Dem Weg zum Überwachungs- und Polizeistaat steht in der gegenwärtigen Pandemie gerade wenig im Weg.

Die Straßen sind leer, nicht nur wegen der Versammlungsverbote sondern auch der – sicher vernünftigen – Selbsteinschränkung der Aktivist*innen wegen. Protest und Aktivismus haben jedoch nicht an Dringlichkeit verloren. So ist es Konsens, dass er aktuell nötiger ist, als vor dem Aufkommen von des Coronavirus. Die richtige Konsequenz: Den Protest an neuen Orten ausdrücken, neue Formen entwickeln, am besten dort, wo räumliche Distanz zu den Mitmenschen besteht. Da bietet sich das Internet als Raum folglich an. Kabel und Frequenzen übertragen Informationen Botschaften/Protest – frei von menschlichen Viren. Dabei treten jedoch verschiedene Probleme auf.

Eins ist bekannt und wird seit einiger Zeit diskurs- und demokratietheoretisch diskutiert. Es handelt sich um die leidigen Filterblasen, speziell auf die linke Szene zugespitzt und problematisiert die Szene-Bubble. Solche Blasen führen dazu, dass Meinungen, Wissen, aber auch Falschmeldungen diskutiert, problematisiert werden und letztlich Verhalten beeinflussen. Den eigenen Diskursraum verlassen sie jedoch nicht immer und oft erzeugen sie auch keine Reaktion über den eigenen Diskursraum hinaus. Wie stellt man also fest, ob das Share Pic, das gerade eine relativ hohe Zahl an Menschen geteilt haben, die Grenzen der Bubble überschritten hat, d.h. mehr Menschen erreicht hat? Ein Indikator dafür, ob Protest im Internet erfolgreich war, d.h. eigene Grenzen überwunden hat, somit sichtbar wurde, ist eine mediale Reaktion auf den Protest oder Content. Eine solche Reaktion zeigt letztlich, ob der Grund für den Protest Nachrichtenwert hat und als gesellschaftlich relevant anerkannt wird.

Nachrichtenwert erhält die Botschaft in den meisten Fällen weniger über ihren Inhalt, sondern dadurch, dass die Form des Protestes eine Störung des normal Betriebs erzeugt, eine relativ große Masse an Menschen mobilisiert oder spektakulär durch geführt wird. Die Störung des Normalbetriebs kann schon die Einschränkung des Straßenverkehrs sein, der lokal Medien oft eine Zeile wert ist. Große Massen auf der Straße forcieren eine Macht, die sich entweder darin ausdrückt, Grenzen überschreiten zu können, was auch eine Form der Störung bedeutet, oder die darin besteht, dass sie Politiker*innen ihren Zugang zur Macht bei einer Wahl entziehen könnten. All dies führt zu weiteren Reaktionen der verantwortlichen Politiker*innen, die im besten Fall zu konkreten Entscheidungen führen.

Reaktionen in dieser Form fallen natürlich Weg, wenn der Protest in der eigenen Bubble stecken bleibt und keine Störungen auftreten. Was uns zum zweiten Problem führt. Protest in Form des Ausdrucks einer Meinung wird oft dadurch unterstützt, indem Störungen durch eigene Ausnahmezustände hergestellt werden, durch die Besetzung von Kraftwerken, die Zerstörung von Eigentum usw.. Auf einen solchen muss es Zwangsweise eine Reaktion geben, da die Polizei eingreifen muss. Dies wird gerade bei den Protesten von Ende Gelände sichtbar. Protest ist also nicht nur von diskursiven Faktoren (Sprache und Argumente) abhängig, sondern auch von materiellen Faktoren d.h. nicht fließendem Verkehr und ökonomischen Schäden. Diese Ausnahmezustände fallen bei reinem Internetaktivismus natürlich aus.

Blicken wir auf die Aktionen der Seebrücke vom letzten Sonntag, fällt die mediale Reaktion dürftig aus. Keine bedeutenden Medien zeigten Reaktionen auf die online Demonstrationen, die nicht nur im Netz blieben; auch an den Fenstern zu Straße wurde demonstriert und somit über die eigene Bubble hinaus wirkten. Diese Einschätzung nimmt dem Anliegen der Seebrücke keine Legitimität, noch bedeutet sie, dass die online Demos sinnlos wahren. Viel mehr fehlen für den Erfolg in Form von medialen politischen Reaktionen auf den Protestes Störungen und Ausnahmezustände. Zu Erzeugung von Störungen lohnt ein Blick auf die sog. Telefonaktionen, die im Rahmen der Forderungen für eine bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zur Anwendung kamen. Aktivist*innen riefen zu verabredeten Zeiten das Büro von Jens Spahn an, mit dem Ziel dieses für eine Zeit lahm zu legen, um den nötigen Druck über Störungen des Betriebs zu erzeugen, die Forderungen der Aktivist*innen umzusetzen. Auch diese war nicht sonderlich erfolgreich, was vermutlich an der kleinen Masse an Menschen lag, die dort anriefen und an der zu geringen Kontinuität der Anrufe. Auch ist die Frage relevant, ob das Ziel richtig gewählt wurde und die Kommunikation richtig gewählt wurde. Als eine erfolgreiche Kombination von praktischer Aktion und medialer Verbreitung sind die Hausbesetzungen des Bündnis #besetzen, die live aus den besetzten Wohnungen “Leerstand zu Schutzräumen” nicht nur fordern, sondern umsetzen.

Der Aktivismus im Internet oder am Telefon erhöht die Gefahr von Überwachung und Repression. Als Versammlung auf der Straße können wir uns gegenseitig schützen, vor den Kameras der Polizist*innen und der Nazis, sowie vor körperlichen Angriffen und Festnahmen. Aktivität vom Wohnzimmer aus nimmt uns diesen Schutz, denn das eigene Telefon oder der Computer sind in den meisten Fällen individuell identifizierbar. Das Verhältnis von Anonymität und Identität sind umgekehrt. Denn die Gewohnheit auf der Straße eine*r von vielen zu sein, wird im Gegenteil zur Norm der eindeutigen Identifizierung im Internet, dank IP, Funkzelle und Metadaten. Die jetzt viel diskutierte Corona-App, an der sich unter dem Damoklessschwert der Pandemie sehr viele Menschen freiwillig beteiligen werden, und damit freiwillig immer weitreichendere Persönlichkeitsrechte abgeben, würde die Sehnsüchte aller Überwachungsfanatiker erfüllen und wäre eine Katastrophe für den politischen Protest. Netzanbietern winken damit ungeahnte Möglichkeiten der Ausbeutung unserer Bewegungs- und sonstige Metadaten.

All dies sind Fragen, deren Beantwortung helfen kann, mit der gegeben Situation erfolgreich umzugehen und Protest seine gewünschte Wirkung zu geben. Am Ende der Krise haben linke Aktivist*innen vermutlich weitere Werkzeuge, es ist nur die Frage, wie erfolgreich sie einsetzbar sind.


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